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ERÖFFNUNGSGALA                                                                                 Mittwoch 21.03. - 19:00 Uhr Urania

»AM ANFANG WAR DIE VORSTELLUNG«

      Eröffnungsrede von Doron Rabinovici

Am Anfang war die Vorstellung. Ohne israelisches Kino gäbe es mich nicht. Ich bin ein Kind des Lichtspiels. Meine Mutter behauptet jedenfalls, sie habe meinen Vater einst erwählt, weil er für jede Vorführung Karten zu erhaschen wusste. Das war gar nicht einfach. Alle Veranstaltungen waren überlaufen. Noch gab es keinen Fernsehsender im Judenstaat. Meine Eltern suchten Konzerte und Theater auf, eilten zu Vorträgen oder sie schauten die neuesten Streifen an. Die Lust nach Projektion, nach den leuchtenden Kadern – ob jenen aus Zelluloid oder denen in der Politik – einte Schoschana Weksler und David Rabinovici. Der cineastischen Leidenschaft wurde im Tel Aviv meiner Kindheit teils in Freiluft nachgegangen. Ich trage die dämmrige Erinnerung noch in mir. Welch ein Spektakel war es. Unter dem freien Sternenfirmament des Südens und unweit des Meeres wurden Plätze abgezirkelt, Sitzreihen ausgerichtet. Wir saßen zwischen den Häusern im dunstigen Brodeln der Stadt. In den Nachbarsgebäuden wurden die Fenster geöffnet, um kostenlos 

zuzuschauen. Es gab damals Pausen, in denen Eisverkäufer ihre Wägelchen durch das Publikum schoben und sie riefen: „Glida Artik“.
Aber der eigentliche Zufall, dem ich mein Dasein verdanke, ist wohl eher das unwahrscheinliche Überleben meiner Eltern und ihr Zusammentreffen im neuen Staat. Meine Mutter wollte, nachdem sie der Vernichtung gerade noch entronnen war, nicht in jenem neuen Polen bleiben, das dem alten Antisemitismus weiterhin frönte. Juden waren hier unverändert verhasst, verfolgt. Überlebende wurden nach der Befreiung Opfer von heimischen Pogromen und es ist in diesem unserem Europa der Gegenwart besonders wichtig, diese Wahrheit auszusprechen, weil sie die Regierung in Warschau per Gesetz zu unterdrücken versucht. Aber das wird ihr letztlich nicht gelingen!
Mein Vater erreichte bloß durch ein unglaubliches Glück 1944 Palästina, denn das Schiff, das er in Constanza betrat, wurde torpediert und versenkt. Nur acht der etwa 300 Menschen an Bord ertranken nicht. Mein Vater war nicht unter diesen Überlebenden. Das Wunder, wieso er dennoch nicht starb, werde ich heute hier nicht erzählen. Nur so viel sei verraten. Er gehörte zu der Generation, die an der Entstehung des Staates beteiligt gewesen war. Er arbeitete im Straßenbau, lebte in Jaffa, setzte sich für die Gleichberechtigung jüdischer und arabischer Werktätiger ein, diente im Unabhängigkeitskrieg, wurde dabei zweimal schwer verwundet, um danach nach Prag geschickt zu werden, jene tschechischen Waffen zu besorgen, die Israels Existenz letztlich sicherten.
Am Anfang war die Vorstellung. Die Idee, die Verbannung der Juden für immer zu überwinden und eine Heimstatt für jene zu schaffen, die verstreut waren unter den Völkern. Wer heute jüdische Filme anschauen will, kann von den israelischen nicht mehr absehen. Alles, was jüdische Menschen heute ins Auge fassen, ist von der Sichtweise Zions geprägt.
Ich sage nicht, die Diaspora hätte keine eigene, keine andere, keine sogar teils gegensätzliche Anschauung als etwa jene des Staates. Zudem gibt es nicht die eine Perspektive da oder dort. Im Gegenteil. Die Existenz Israels schwächte nicht den Standpunkt außerhalb des Landes. Es ist eine Paradoxie, die viele Zionisten vor Hundert Jahren so nicht für möglich gehalten hätten: Seit es Israel gibt, ist es auch andernorts leichter, jüdisch souverän aufzutreten, da Diaspora kein Fluch mehr ist, sondern eine Wahlmöglichkeit wurde. Weil sie jederzeit einen Flug in den Judenstaat buchen können, leben Juden, auch jene, die Antizionisten sind, heute überall selbstbewusster.
Am Anfang war die Vorstellung. Die Bilder, die wir in den Filmen aus Israel sehen, sind nicht einfach bloß der Abklatsch einer Regierungspropaganda. Vielmehr zeigen uns die Streifen die Mehrstimmigkeiten und die Widersprüchlichkeiten dessen, was Israel ausmacht. Wir erleben ein Israel, das nicht zum starren Klischee aus den Abendnachrichten gerinnt. Der Konflikt wird stattdessen im Kontrast aller anderen Konturen dargestellt. Wir hören, wie es den Überlebenden in der Pionierzeit erging. Wir vernehmen den Takt der frühen Jahre. Wie sang einst der unvergleichliche Star Arik Einstein Anfang der Siebziger: 
„Omrim she haja po sameach, lifnei she noladeti we kol haja pashut nifla ad she higati.“ – „Sie sagen, es war hier fröhlich, bevor ich geboren wurde – und alles war hier einfach wunderbar, bis ich eintraf.“
Wir horchen dem Klang arabischer Geschichten aus Haifa, aus Um el Fahm, aus Jerusalem nach. Wir lauschen den Liedern der Friedensdemonstrationen, doch wir entgehen auch nicht den Hetzparolen jener, die Rabin einen Verräter schimpften, bis ein Mörder ihn erschoss. Da sind orthodoxe Familien, die jene Kinos, in denen ihre Geschichten gespielt werden, nie besuchen werden.
Israel gibt es gar nicht im Singular. Es ist ein Land, das aus vielen heterogenen Gesellschaften besteht, und das Einzigartige ist, dass jenseits nationalistischer Vereinfachung und der Dominanz rechtspopulistischer Politik das Panorama verschiedener Lebenswelten so ein berauschendes Bild wunderschöner Vielfalt ergibt.
Dennoch wird in der Debatte über diesen Staat nicht selten so getan, als sei er nur ein Gebilde, ein einheitlicher Fremdkörper, der im Nahen Osten wuchert, ja, eine Monsterkreation, ein Geschwür, allenfalls ein Brückenkopf des westlichen Imperialismus. Es ist, als wohnten dort keine Menschen, weshalb manche, die diese seelenlose Sicht auf den Judenstaat werfen, nicht zwischen seiner Regierung und seiner Opposition, seiner Kunst oder seiner Wissenschaft unterscheiden wollen. Sie vermengen auch das Land mit den Siedlungen. Nein, es ist der ganze Judenstaat, der dieser letztlich rassistischen Generalisierung nach ausgegrenzt und ausgeschlossen werden soll. Gefordert wird, die Bücher israelischer Autoren nicht zu verlegen. Verlangt wird, Kulturfestivals mit israelischen Kunstwerken zu boykottieren und mit israelischen Wissenschaftlern nicht zu kooperieren.
Statt der ethnischen Logik des Krieges entgegenzuwirken, wird diesem Irrsinn gefolgt. Niemand kam je auf die Idee, alle serbischen, kroatischen, russischen, tschetschenischen oder iranischen Filmemacher zu boykottieren. Es ist kein Zufall, wenn dieser Boykott ausgerechnet wieder das Jüdische trifft, wobei der antisemitische Kontext und die historische Kontinuität, zumal in Österreich oder Deutschland, nicht zu leugnen sind. Vollkommen skurril ist, wenn diese anti-israelische Hetze vorgibt antirassistisch zu sein, denn sie trifft just jene Kräfte in Israel, die einen kritischen Blick auf das eigene Land und die eigene Gesellschaft schärfen.
Zugleich werden aber immer mehr Künstler im eigenen Land als Verräter denunziert, weil sie eine Sichtweise wagen, die der Regierungslinie widerspricht. Aber auch hier gilt, was gegenüber jenen gesagt werden muss, die alle israelische Kunst unterdrücken wollen. Die Freiheit der Kunst – auch jener, die vielleicht die Wirklichkeit verzerrt und dadurch bis zur Kenntlichkeit entstellt – gilt es zu bewahren und zu verteidigen, weil sie die Vielfalt und die Widersprüchlichkeit einer offenen Gesellschaft unterstreicht. Hingegen wirkt ein Filmfestival, das solcher Streifen bereinigt sein würde, etwa so überzeugend demokratisch und grimmig vertrauenerregend wie ein Wahlsieg des russischen Präsidenten Putin, wenn er etwa auf der Halbinsel Krim zweiundneunzig Prozent einfährt.
Ein jüdisches Festival, das uns die unterschiedlichen Werke israelischer Regisseure zeigt, ist – selbst, wenn es das gar nicht vorhat – eines, das im eigentlichen Sinne den Staat repräsentiert, den Herzl einst in Wien erträumte. Denn am Anfang ist die Vorstellung, die nicht eingeschränkt wird durch das Vorurteil. Zu sehen ist, was unsere Dünkel überblendet, etwa ein Film wie „Muhi“ – präsentiert in Kooperation mit dem New Israel Fund. Hier wird die Geschichte eines kranken, zweijährigen Buben aus Gaza erzählt, der mit seinem Großvater im Krankenhaus Tel Haschomer lebt. Arabische und jüdische, israelische und palästinensische Menschen treffen und arbeiten zusammen für die Gesundheit dieses Kindes.
Am Anfang war die Vorstellung, und es ist die Vision, die uns auch in dieser Eröffnung entgegen scheint: „Ben Gurion Epilogue“. 1968 stößt der Staatsmann David Ben Gurion auf eine neue Siedlung im Negev, wo junge Leute beschließen, die Wüste zu besiedeln. Da erinnert sich der Politiker seiner Jugendträume, in denen er nichts anderes wollte, als genau so ein bodenständiges Pionierleben im Judenstaat zu führen. Von einem Tag zum anderen legt er sein Amt nieder, um hier einfache Arbeit zu leisten. Das Interview, das mit ihm geführt wurde, fand der Regisseur des Streifens wieder. Das Gespräch selbst offenbart uns einen David Ben Gurion, wie wir ihn nie kannten. Die Vorstellungen, die ihm am Anfang antrieben, bestimmen auch sein Ende.
David Ben Gurion spricht – es wird sogleich zu sehen sein – von einem Israel, an das er glaubt, auf das er hofft und das er, der Staatsgründer, noch nicht verwirklicht sieht. Er träumt von einem Israel in Gerechtigkeit und Frieden.
Das Wunschbild von diesem Israel strahlt wohl in den meisten Arbeiten durch, die wir hier anschauen können. Der Film kann den Staat, seine Ideologie und seine Realität auf Tausenden Leinwänden widerspiegeln. Auch die Wirklichkeit der Menschen jenseits der grünen Linie, ja, insbesondere die der Palästinenser finden hier Platz. Die Kinokunst bietet allen Raum und wendet sich dabei nicht bloß an eine kleine Minderheit, sondern kann Massen erreichen.
Stimmt schon: Der Film mag oft durchaus auch als Irrlicht und Blendwerk der Propaganda missbraucht werden, doch er birgt ebenso die Möglichkeit, aufzuklären, die Gefahren heimzuleuchten und vor allem kann er uns in seinen Bann ziehen, unterhalten und aufheitern. Das Kino ist ein Hunderttausendfaches Feuerwerk der Inspiration. Die Leinwand kann Reflexion und Erleuchtung zugleich sein. Sie ist, wie mein Freund Robert Schindel einst schrieb, ein in den Boden gerammter Himmel. Das Kino ist ein Paradies der Phantasie, in das alle dürfen. Sie müssen allenfalls die Eintrittskarte bezahlen. Es sei denn, sie holen sich das Kleinformat, den Abklatsch, aus dem Netz.
Wir leben in Zeiten, da der Rechtspopulismus in vielen Ländern an Kraft gewinnt, doch Nationen, die vor dem eigenen Abbild der Vielfalt zurückschrecken, stellen sich blind. Sie büßen damit die Fähigkeit ein, sich zu spüren. Sie kommen vom Weg ab. Sie tappen mit Scheuklappen in eine dunkle Zukunft und werden im Wirrnis der Unzeit verloren gehen.
Nur wer in die Vergangenheit zu schauen wagt, kann sehen, wohin es gehen soll. Ein Land, das seine Bürger nicht nach ihrer je eigenen Wahrheit suchen lässt, wird keine gemeinsame mehr finden. Das Kino geht neuen Perspektiven nach. Es lehrt uns das Träumen mit offenen Augen. Nichts anderes meinte der Wiener Theodor Herzl, als er sagte: „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.“ Das Kino kann den anderen Blick auf die Welt schärfen und die Weitsicht fördern. Es gibt verschiedene Einstellungen und neue Anschauungen wieder. Zuweilen, wenn ich im Dunkel vor der Leinwand sitze, entdecke ich da, wo ich es nie vermutete, eine Lichtung. Nichts wäre ich ohne Kino, zumal ohne das israelische und ich will darauf nicht verzichten. So danke ich dem Jüdischen Filmfestival für die Schau israelischer Kunst und sage:

 

Auf zu neuen Vorstellungen! Ich wünsche freie Sicht und gute Projektion.

ERÖFFNUNGSGALA                                                                                 Mittwoch 21.03. - 19:00 Uhr Urania
DER FILM                                                                                                                                               DIE REDEN

BEN-GURION, EPILOGUE

Yariv Mozer, IL 2016

 

Produktion Mozer Films, Quark Productions Drehbuch Yariv Mozer Schnitt Yael Perlov Musik John D. Keltonic Mit David Ben-Gurion

 

Dokumentarfilm, 93 Minuten, hebr. OF mit engl. UT

Documentary film, 93 min, Hebrew OV with Engl. subtitles

 

 

Es ist das Jahr 1968. David Ben-Gurion, einer der wichtigsten Politiker des zwanzigsten Jahrhunderts, lebt in einem bescheidenen Haus im Kibbuz Sde Boker in der Negev-Wüste. Er hat sich aus der Politik zurückgezogen und gibt nun, im Alter von 82 Jahren, ein ausführliches Interview. Das verschollene, über 6 Stunden umfassende Material, wurde im Archiv wiederentdeckt und zu dieser seltenen Dokumentation verarbeitet.

 

The film brings to life a lost interview with of one of the modern history's greatest leaders, David Ben-Gurion.

It is 1968 and he is 82 years old, five years before his death.

He lives in the desert, removed from all political discourse, which allows him a hindsight perspective on the Zionist enterprise.

Ben-Gurion's introspective soul searching provides a surprising vision for crucial decisions Israel needs to make today.

DORON RABINOVICI

Der beliebte Schriftsteller und Historiker, Sohn von Überlebenden der Shoa, dessen Engagement gegen Antisemitismus und  Verhetzung und für die Achtung der Menschenrechte unermüdlich ist, wird ein paar Begrüßungsworte sprechen.

BENNY MORRIS

Mit der Veröffentlichung seines Buches "The Birth of The Palestinian Refugee Problem”(1988) hat der israelische Historiker Morris als einer der „New Historians“ eine neue Ära israelischer Geschichtswissenschaft eingeläutet. Seine späteren Forschungen, wie etwa sein Buch "Righteous Victims"(1999) gehören heute zu den Standardwerken israelischer Geschichtsschreibung. Gegenwärtig lehrt Morris an der Georgetown University in Washington DC, USA.

In seiner Eröffnungsrede für unser Festival wird er auf die historischen Friedensbemühungen im Nahen Osten eingehen.

RENATA SCHMIDTKUNZ

Wie schon in den letzten Jahren wird uns Renata Schmidtkunz durch den Abend geleiten und nach dem Film ein Gespräch mit dem Regisseur Yariv Mozer führen. 

Am 23. März wird Renata Schmidtkunz auch die Podiumsdiskussion zum Thema" Filmmaker's Vision for Peace" moderieren.

Wir freuen und ganz besonders  die Botschafterin Israels in Österreich, Frau Talya Lador-Fresher und den Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien, Herrn Mag Gernot Blümel MBA als unseren Ehrengaste begrüßen zu dürfen.

DAS BUFFET                                                        DER WEIN                                                            DIE GOODIES

Im »habibi & hawara« trifft orientalische Küche auf österreichische Kulinarik, entspannte Tischkultur auf exzellente Qualität. Das erste Restaurant von Flüchtlingen für Österreicher, Wipplinger Straße , 1010 Wien

Die Firma SUSSITZ liefert gute Weine aus dem vielseitigen  Sortiment ihres Geschäfts in der Krummbaumgasse. 

fabienne
verwöhnt uns, wie schon so oft, mit feinen belgischen Pralinen.

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