DIE KIBBUZ
BEWEGUNG
JFW 17 THEMA
Geleitwort
„Nach seinen Möglichkeiten geben“
&
„entsprechend seinen Bedürfnissen erhalten“
Was ist ein Kibbuz? In den Statuten der Vereinigten Kibbuz-Bewegung werden die Prinzipien wie folgt festgelegt:
„Der Kibbuz ist eine freie Vereinigung von Personen zum Zweck der Errichtung, Integration und Bewirtschaftung einer kollektiven Siedlung, die nach den Prinzipien von gemeinschaftlichem Eigentum an Grundbesitz, eigener Arbeit, Gleichheit und Zusammenarbeit in den Bereichen der Produktion, des Konsums und der Erziehung organisiert ist. […] Der Kibbutz versteht sich als integraler Teil der Arbeiterbewegung in Israel, als Pionier des nationalen Neubeginns und sein Ziel ist die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft in Israel, die auf wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit basiert.“
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Kibbuz ein kollektives Lebensmodell mit basisdemokratischen Entscheidungsprozessen ist, dessen Grundgedanke auf sozialistischen Prinzipien aufbaut, und dessen Ideale der Gleichheit und Partnerschaft sich durch die ökonomischen und sozialen Sphären des Lebens ziehen. Die ersten Kibbuzim (allen voran Degania) der 1910er und 1920er Jahre und weisen noch einen intensiven landwirtschaftlichen und kommunalen Charakter auf. Das Land wird fruchtbar gemacht und die Wüste zum Blühen gebracht. Die Rolle der Kibbuzim an der Gründung des israelischen Staates ist von enormer Bedeutung und wird in unserer Filmauswahl thematisiert („The Women Pioneers“, „Inventing Our Life“). Dieser strenge kommunale Aspekt wird in den darauffolgenden Jahrzehnten, genährt durch politische und nationale Bestrebungen, ein wenig aufgeweicht.
Der Kibbuz sucht seine Rolle in der ihn umgebenden Gesellschaft. Ab den 1950er Jahren beginnen die kommunalen Tendenzen gegen unternehmensorientierte zu konkurrieren und werden mit der Privatisierungswelle („hafrata“) des späten 20ten Jahrhunderts deutlich überschattet. Viele Einflüsse haben diesen Schritt begünstigt: die Wirtschaftskrise der 1970er (mit besonderer Auswirkung auf die Landwirtschaft), der politische Umbruch mit der Wahl Menachem Begins 1977 (das erste Mal, dass die Likud-Partei stärkste Kraft wird) und der Streichung von staatlichen Hilfestellungen (Steuererleichterungen, Subventionen etc.), aber auch ein ideologischer Wandel ab Beginn der 1960er Jahre hin zu einem Drang der Selbst-Realisierung und einer Erhöhung des Individuums begünstigt den Umbruch im Kibbuz. Die deutliche Mehrheit der heutigen Kibbuzim in Israel sind privatisiert und haben weitere Merkmale des ursprünglichen Kibbuz, wie das Kinderhaus und die gemeinsame Speisehalle aufgegeben.
Inwiefern das eine Niederlage des Kibbuz-Experimentes bedeutet und wie die Zukunft dieses Lebensmodells aussehen könnte, wird ebenso Bestandteil unserer filmischen Auseinandersetzung sein, wie die Betrachtung des Kibbuzes aus unterschiedlichen Blickwinkeln: historisch („Inventing Our Life“), soziologisch („Children of the Sun“, „Sweet Mud“), feministisch („The Women Pioneers“) und aus der Perspektive der mizrachischen Minderheit („Sallah Shabati“).